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Aus der Geschichte
Seit über 600 Jahren leben Sinti in Mitteleuropa. Sie kamen ursprünglich aus Nordwestindien – heutiges Pakistan – und wurden 1407 erstmals in Protokollen der Stadt Hildesheim erwähnt. Sie wurden als Fremde wahrgenommen und nicht in die spätmittelalterliche Gesellschaft integriert. Die Menschen wurden oft mit diskriminierenden Fremdbezeichnungen wie Tartaren, Böhmen, Heiden, Ägypter oder „Zigeuner” versehen.
Vorbehalte und Vorurteile, die sich zum Antiziganismus entwickelten, machten das Leben für die Sinti in Westeuropa und für die Roma in Osteuropa schwer. Seit Ende des 15. Jahrhunderts wurden Sinti im deutschsprachigen Raum als „Vogelfreie” verfolgt, besonders im 18. Jahrhundert. Nach 1860 — nach der Aufhebung der Leibeigenschaft und Sklaverei — kamen aus Osteuropa Roma nach Deutschland. Für die Mehrheitsbevölkerung waren dies die „ausländischen Zigeuner”, die möglichst sofort wieder ausgewiesen werden sollten.
Eine Verbesserung der Lage für Sinti und Roma zeigte sich auch nach der Durchsetzung der Demokratie 1918 nur bedingt: Behörden, Verwaltungen, Wissenschaft und große Teile der Bevölkerung blieben bei ihren negativen Urteilen über die Minderheit. Spezielle Gesetze gegen „Zigeuner”, die dem Sinn und Wortlaut der demokratischen Weimarer Verfassung widersprachen, konnten ohne großen Widerspruch von Regierungen formuliert und parlamentarisch durchgesetzt werden.
Die Nationalsozialisten konnten an diese, von rassistischem Geist geprägten Gesetze ansetzen, als ihnen 1933 die Macht übergeben wurde. Im Nationalsozialismus erreichte die Verfolgungspolitik gegen Sinti und Roma ihren schrecklicken Höhepunkt. Sinti und Roma sollten wie die Juden als „außereuropäische Fremdrasse” vernichtet werden.
Auschwitz und andere Lager wurden für viele Sinti und Roma zu Orten ihrer Vernichtung oder schrecklichen Leids. Von den 21.000 namentlich im Vernichtungslager Auschwitz erfassten Sinti und Roma wurden 18.000 ermordet, von den 1.400 in Hessen verfolgten Sinti und Roma überlebten nur etwa 300 den Völkermord.
Es gibt nicht eine Familie, die nicht vom nationalsozialistischen Völkermord betroffen war.
Auch nach 1945 endeten die Diskriminierung und Ausgrenzung nicht. Die Entscheidungen der Entschädigungsbehörden in Wiedergutmachungsverfahren sowie das Verhalten anderer Behörden und Institutionen machten deutlich, dass der Antiziganismus nicht überwunden war.
Die nationalsozialistische Verfolgung wurde nicht als solche anerkannt, geschweige denn als Völkermord – weder von der Politik und der Justiz noch von den Kirchen und auch nicht in den Wissenschaften.
Der Landesverband
Erst mit dem Aufleben der Bürgerrechtsbewegung der Sinti und Roma veränderte sich etwas. 1980/1981 wurde in Darmstadt der Verband deutscher Sinti gegründet. Er machte auf die fortgesetzten Diskriminierungen aufmerksam und er half u.a. den Überlebenden ihr Recht auf Opferentschädigung durchzusetzen.
1982 war es Bundeskanzler Helmut Schmidt, der den Völkermord an Sinti und Roma während des Nationalsozialismus politisch anerkannte; ihm folgten später andere führende Politiker. 1997 stellte Bundespräsident Roman Herzog fest, dass der Völkermord an den Sinti und Roma aus denselben rassistischen Motiven begangen wurde wie bei den Juden.
1995 verabschiedete der Europarat das Rahmenübereinkommen zum Schutz und zur Förderung nationaler Minderheiten, das 1998 auch von der Bundesrepublik Deutschland unterzeichnet wurde. Die deutschen Sinti und Roma wurden als eine nationale Minderheit anerkannt – neben Friesen, Sorben und Dänen.
Der Hessische Landesverband hatte die Aufgabe, neben der Hilfe für die Überlebenden die Mehrheitsbevölkerung über die Verbrechen des Nationalsozialismus und über die Kontinuität des Antiziganismus, der „Zigeunerbilder”, aufzuklären.
Gegen das Vergessen zu arbeiten, hieß auch vor Ort an die Deportationen nach Auschwitz zu erinnern. In Hessischen Städten wurden auf Initiative des Landesverbandes Mahnmale aufgestellt oder Gedenktafeln an den Gebäuden angebracht, von denen die Verfolgung verwaltet wurde. Es gibt entsprechende Denkmäler in Wiesbaden, Darmstadt, Marburg, Fulda, Kassel, Bad Hersfeld, Hanau, Dreihausen und Okriftel.
Erste Broschüren zur Verfolgungsgeschichte erschienen 1993. Dokumentationen zu den Verfolgungen von Sinti und Roma in hessischen Gemeinden und Städten folgten zwischen 1995 und 2006, insgesamt 7 Bücher. 2001 gab der Landesverband die von dem Marburger Historiker Dr. Udo Engbring-Romang verfasste wissenschaftliche Studie zur „Verfolgung der Sinti und Roma in Hessen zwischen 1870 und 1950” heraus.
In zwei Versionen wurde die Ausstellung „Hornhaut auf der Seele – Geschichte der Verfolgung der Sinti und Roma in Hessen” herausgebracht und seitdem in vielen Städten Hessens präsentiert, darunter schon zweimal im Hessischen Landtag.
Auf der Grundlage zweier empirischer Untersuchungen zur Vermittlung der Geschichte der Verfolgung der Sinti und Roma in Schule und Unterricht konzipierte der Landesverband Unterrichtsmaterialien in einem Medienkoffer, der zum ersten Mal im Herbst 2009 in Darmstadt der Öffentlichkeit vorgestellt wurde. Lehrkräften werden damit Unterlagen und Arbeitsblätter für den Unterricht bereit gestellt. Darunter sind auch DVDs mit Zeitzeugeninterviews. Mittlerweile gibt es vier weitere Medienboxen: Wiesbaden, Frankfurt, Marburg und Region Südhessen.
Heute
Seit 2014 und 2018 gibt es Verträge des Hessischen Landesverbandes mit dem Land Hessen, das den Verband als Vertretung der Sinti und Roma anerkennt und die Arbeit finanziell unterstützt.
Eine Lehrkräftehandrechung des Hesssichen Kultusministeriums mit dem Titel „Sinti und Roma in Deutschland und die Rolle des Antiziganismus” wurden unter Mithilfe des Verbandes im Januar 2016 fertiggestellt.
Seit Dezember 2015 stellt der Landesverband Schulen und anderen Einrichtungen die mobile Ausstellung „Der Weg der Sinti und Roma” zur Verfügung. Dutzende Projekttage an Hessischen Schulen seither setzen die Aufklärungsarbeit des Landesverbandes fort. Die Roll-Up-Ausstellung wurde auch in Rathäusern, im Wiesbadener Stadtmuseum und auf Hessentagen gezeigt.
Ein derzeitiges großes Projekt ist eine Dauerausstellung zur Geschichte und Gegenwart der „Zigeunerbilder” in einem landesweiten Zentrum gegen Antiziganismus, das zur Aufklärungsarbeit genutzt werden kann.
Seit Jahren ist der Landesverband im Internet präsent und berichtet dort laufend über seine Tätigkeiten.