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Aus der Geschichte

Seit über 600 Jahren leben Sin­ti in Mit­teleu­ropa. Sie kamen ursprünglich aus Nord­westin­di­en – heutiges Pak­istan – und wur­den 1407 erst­mals in Pro­tokollen der Stadt Hildesheim erwäh­nt. Sie wur­den als Fremde wahrgenom­men und nicht in die spät­mit­te­lal­ter­liche Gesellschaft inte­gri­ert. Die Men­schen wur­den oft mit diskri­m­inieren­den Fremd­beze­ich­nun­gen wie Tartaren, Böh­men, Hei­den, Ägypter oder „Zige­uner” verse­hen.

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Karte zur Migra­tions­be­we­gung der Sin­ti und Roma zwis­chen 750 und 1584

Vor­be­halte und Vorurteile, die sich zum Antizigan­is­mus entwick­el­ten, macht­en das Leben für die Sin­ti in Wes­teu­ropa und für die Roma in Osteu­ropa schw­er. Seit Ende des 15. Jahrhun­derts wur­den Sin­ti im deutschsprachi­gen Raum als „Vogel­freie” ver­fol­gt, beson­ders im 18. Jahrhun­dert. Nach 1860 — nach der Aufhe­bung der Leibeigen­schaft und Sklaverei — kamen aus Osteu­ropa Roma nach Deutsch­land. Für die Mehrheits­bevölkerung waren dies die „aus­ländis­chen Zige­uner”, die möglichst sofort wieder aus­gewiesen wer­den soll­ten.

Eine Verbesserung der Lage für Sin­ti und Roma zeigte sich auch nach der Durch­set­zung der Demokratie 1918 nur bed­ingt: Behör­den, Ver­wal­tun­gen, Wis­senschaft und große Teile der Bevölkerung blieben bei ihren neg­a­tiv­en Urteilen über die Min­der­heit. Spezielle Geset­ze gegen „Zige­uner”, die dem Sinn und Wort­laut der demokratis­chen Weimar­er Ver­fas­sung wider­sprachen, kon­nten ohne großen Wider­spruch von Regierun­gen for­muliert und par­la­men­tarisch durchge­set­zt wer­den.

Die Nation­al­sozial­is­ten kon­nten an diese, von ras­sis­tis­chem Geist geprägten Geset­ze anset­zen, als ihnen 1933 die Macht übergeben wurde. Im Nation­al­sozial­is­mus erre­ichte die Ver­fol­gungspoli­tik gegen Sin­ti und Roma ihren schreck­lick­en Höhep­unkt. Sin­ti und Roma soll­ten wie die Juden als „außereu­ropäis­che Frem­drasse” ver­nichtet wer­den.

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Polen, Konzen­tra­tionslager Auschwitz. Ein­gang nach der Befreiung, im Vorder­grund von den Wach­mannschaften zurück­ge­lassene Aus­rüs­tungs­ge­gen­stände. Aufgenom­men nach dem 27. Jan­u­ar 1945 von Stanis­law Mucha. Deutsches Bun­de­sarchiv, B 285 B‑04413.

Auschwitz und andere Lager wur­den für viele Sin­ti und Roma zu Orten ihrer Ver­nich­tung oder schreck­lichen Lei­ds. Von den 21.000 namentlich im Ver­nich­tungslager Auschwitz erfassten Sin­ti und Roma wur­den 18.000 ermordet, von den 1.400 in Hes­sen ver­fol­gten Sin­ti und Roma über­lebten nur etwa 300 den Völk­er­mord.

Es gibt nicht eine Fam­i­lie, die nicht vom nation­al­sozial­is­tis­chen Völk­er­mord betrof­fen war.

Auch nach 1945 ende­ten die Diskri­m­inierung und Aus­gren­zung nicht. Die Entschei­dun­gen der Entschädi­gungs­be­hör­den in Wiedergut­machungsver­fahren sowie das Ver­hal­ten ander­er Behör­den und Insti­tu­tio­nen macht­en deut­lich, dass der Antizigan­is­mus nicht über­wun­den war.

Die nation­al­sozial­is­tis­che Ver­fol­gung wurde nicht als solche anerkan­nt, geschweige denn als Völk­er­mord – wed­er von der Poli­tik und der Jus­tiz noch von den Kirchen und auch nicht in den Wis­senschaften.

Der Landesverband

Erst mit dem Aufleben der Bürg­er­rechts­be­we­gung der Sin­ti und Roma verän­derte sich etwas. 1980/1981 wurde in Darm­stadt der Ver­band deutsch­er Sin­ti gegrün­det. Er machte auf die fort­ge­set­zten Diskri­m­inierun­gen aufmerk­sam und er half u.a. den Über­leben­den ihr Recht auf Opfer­entschädi­gung durchzuset­zen.

1982 war es Bun­deskan­zler Hel­mut Schmidt, der den Völk­er­mord an Sin­ti und Roma während des Nation­al­sozial­is­mus poli­tisch anerkan­nte; ihm fol­gten später andere führende Poli­tik­er. 1997 stellte Bun­de­spräsi­dent Roman Her­zog fest, dass der Völk­er­mord an den Sin­ti und Roma aus densel­ben ras­sis­tis­chen Motiv­en began­gen wurde wie bei den Juden.

1995 ver­ab­schiedete der Europarat das Rah­menübereinkom­men zum Schutz und zur Förderung nationaler Min­der­heit­en, das 1998 auch von der Bun­desre­pub­lik Deutsch­land unterze­ich­net wurde. Die deutschen Sin­ti und Roma wur­den als eine nationale Min­der­heit anerkan­nt – neben Friesen, Sor­ben und Dänen.

Der Hes­sis­che Lan­desver­band hat­te die Auf­gabe, neben der Hil­fe für die Über­leben­den die Mehrheits­bevölkerung über die Ver­brechen des Nation­al­sozial­is­mus und über die Kon­ti­nu­ität des Antizigan­is­mus, der „Zige­uner­bilder”, aufzuk­lären.

Gegen das Vergessen zu arbeit­en, hieß auch vor Ort an die Depor­ta­tio­nen nach Auschwitz zu erin­nern. In Hes­sis­chen Städten wur­den auf Ini­tia­tive des Lan­desver­ban­des Mah­n­male aufgestellt oder Gedenk­tafeln an den Gebäu­den ange­bracht, von denen die Ver­fol­gung ver­wal­tet wurde. Es gibt entsprechende Denkmäler in Wies­baden, Darm­stadt, Mar­burg, Ful­da, Kas­sel, Bad Hers­feld, Hanau, Drei­hausen und Okrif­tel.

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„Denkze­ichen Güter­bahn­hof”: Mah­n­mal für die deportierten Juden und Sin­ti und Roma in Darm­stadt

Erste Broschüren zur Ver­fol­gungs­geschichte erschienen 1993. Doku­men­ta­tio­nen zu den Ver­fol­gun­gen von Sin­ti und Roma in hes­sis­chen Gemein­den und Städten fol­gten zwis­chen 1995 und 2006, ins­ge­samt 7 Büch­er. 2001 gab der Lan­desver­band die von dem Mar­burg­er His­torik­er Dr. Udo Eng­bring-Romang ver­fasste wis­senschaftliche Studie zur „Ver­fol­gung der Sin­ti und Roma in Hes­sen zwis­chen 1870 und 1950” her­aus.

In zwei Ver­sio­nen wurde die Ausstel­lung „Horn­haut auf der Seele – Geschichte der Ver­fol­gung der Sin­ti und Roma in Hes­sen” her­aus­ge­bracht und seit­dem in vie­len Städten Hes­sens präsen­tiert, darunter schon zweimal im Hes­sis­chen Land­tag.

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Plakat zur Ausstel­lung „Horn­haut auf der Seele” mit einem Gemälde des süd­hes­sis­chen Kün­stlers Markus Man­tel, der das Bild nach der Lek­türe der Erin­nerun­gen von Anna Met­tbach „Ich will doch nur Gerechtigkeit” (1998) malte. Anna Met­tbach beschreibt darin ihre Jugend und vor allem ihren Weg in das nation­al­sozial­is­tis­che Ver­nich­tungslager Auschwitz und die Ver­schlep­pung in andere Lager. Mar­cus Man­tel hat ihre Erleb­nisse in einem Bild zusam­menge­fasst.

Auf der Grund­lage zweier empirisch­er Unter­suchun­gen zur Ver­mit­tlung der Geschichte der Ver­fol­gung der Sin­ti und Roma in Schule und Unter­richt konzip­ierte der Lan­desver­band Unter­richts­ma­te­ri­alien in einem Medi­enkof­fer, der zum ersten Mal im Herb­st 2009 in Darm­stadt der Öffentlichkeit vorgestellt wurde. Lehrkräften wer­den damit Unter­la­gen und Arbeits­blät­ter für den Unter­richt bere­it gestellt. Darunter sind auch DVDs mit Zeitzeu­gen­in­ter­views. Mit­tler­weile gibt es vier weit­ere Medi­en­box­en: Wies­baden, Frank­furt, Mar­burg und Region Süd­hessen.

Heute

Seit 2014 und 2018 gibt es Verträge des Hes­sis­chen Lan­desver­ban­des mit dem Land Hes­sen, das den Ver­band als Vertre­tung der Sin­ti und Roma anerken­nt und die Arbeit finanziell unter­stützt.

Eine Lehrkräfte­han­drechung des Hes­s­sichen Kul­tus­min­is­teri­ums mit dem Titel „Sin­ti und Roma in Deutsch­land und die Rolle des Antizigan­is­mus” wur­den unter Mith­il­fe des Ver­ban­des im Jan­u­ar 2016 fer­tiggestellt.

Seit Dezem­ber 2015 stellt der Lan­desver­band Schulen und anderen Ein­rich­tun­gen die mobile Ausstel­lung „Der Weg der Sin­ti und Roma” zur Ver­fü­gung. Dutzende Pro­jek­t­tage an Hes­sis­chen Schulen sei­ther set­zen die Aufk­lärungsar­beit des Lan­desver­ban­des fort. Die Roll-Up-Ausstel­lung wurde auch in Rathäusern, im Wies­baden­er Stadt­mu­se­um und auf Hes­sen­t­a­gen gezeigt.

Mobile Ausstel­lung „Der Weg der Sin­ti und Roma”

Ein derzeit­iges großes Pro­jekt ist eine Dauer­ausstel­lung zur Geschichte und Gegen­wart der „Zige­uner­bilder” in einem lan­desweit­en Zen­trum gegen Antizigan­is­mus, das zur Aufk­lärungsar­beit genutzt wer­den kann.

Seit Jahren ist der Lan­desver­band im Inter­net präsent und berichtet dort laufend über seine Tätigkeit­en.

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