Im September 2020 veranstaltete der Landesverband zusammen mit dem Eberstädter Bündnis gegen Antiziganismus zum dritten Mal in Folge die “Eberstädter Projekttage gegen Antiziganismus”. Auch dieses mal konnte wieder ein spannendes Programm präsentiert werden, welches sich insbesondere an Lehrkräfte und Sozialpädagog*innen richtete.
(mehr …)Kategorie: Allgemein
Diskussionsrunde an der Polizeiakademie in Wiesbaden
Zusammen mit der Jüdischen Gemeinde und dem Ausländerbeirat war der Hessische Landesverband am 17.09.2020 zu einer Diskussionsrunde mit Polizeianwärter*innen an der Polizeiakademie in Wiesbaden eingeladen. Rinaldo Strauß, stv. Geschäftsführer des Landesverbandes sprach einige einleitende Worte und im Anschluss wurde gemeinsam über unterschiedliche Perspektiven diskutiert.
In seinen einleitenden Worten beleuchtete Rinaldo Strauß das Verhältnis von Polizei und Minderheit historisch und aktuell. Denn die Verfolgungsgeschichte die Sinti und Roma in ihren 600 Jahre alten Geschichte im deutschsprachigen Raum erleiden mussten ist elementar, um diese zu verstehen.
Eine Geschichte in der Polizei, Soziale Arbeit und Ordnungsämter immer wieder eine zentrale Rolle in der Verfolgung und Ermordnung spielten. Dennoch lassen diese Institutionen sich nie unabhängig von den gesellschaftlichen Strukturen sehen. So haben sich seit der Anerkennung des Völkermordes 1980 viele Dinge verbessert. Dennoch beunruhigen Nachrichten von rechten Strukturen in der Polizei und dem Militär, wie in den NSU 2.0 Skandalen und Angehörige unserer Minderheit fühlen sich noch immer oft genug nicht gleichberechtigt behandelt.
“Das ich heute hier sein darf als Vertreter des Hessischen Landesverbandes und als Vertreter der nationalen Minderheit der Sinti und Roma, aber vor allem als Sohn eines Auschwitz überlebenden, ist für mich etwas ganz besonderes. Ich empfinden Veranstaltungen wie diese, als ein sehr wichtiges Zeichen”, betont Rinaldo Strauß. Ein Zeichen für Austausch und Möglichkeiten der Veränderung.
“Vili war mein Held”
Interview mit den Eltern von Vili Viorel Păun, Opfer des Anschlags vom 19. Februar 2020
Zum Gedenken an Vili Viorel Păun, der heute 23 Jahre alt geworden wäre.
Interviewerin (I): Könnt ihr mir von Villi und seinem Leben erzählen?
Niculescu Păun (NP): Vili war ein Wunschkind. Nachdem ich 1996 mit der Armee fertig war, habe ich Iulia geheiratet. Ein Jahr später kam Vili. Er war ein sehr netter Junge mit einem großen Herz, weil er ein Einzelkind war. Menschen haben Vili nur 10 Minuten kennen gelernt und sich an ihn erinnert. Ich war einmal mit ihm bei einer rumänischen Zahnärztin, nur 10–20 Minuten. Als ich danach nochmal bei ihr war, haben wir eine Stunde lang über Vili geredet. Was für ein Mensch er war, seinen Charakter und sein Gesicht. Sein Gesicht sagt viel über Vili.
2016 kam ich alleine nach Deutschland. Ich habe einen Platz zum arbeiten gefunden, für die Papiere und eine Wohnung. 2017 sind Iulia und Vili nachgekommen. Ich bin zu meinem Chef gegangen und habe ihm gesagt: „Das ist mein Sohn.“ Er antwortete, dass Vili bei ihm arbeiten könnte, wenn er Deutsch gelernt habe. Also habe ich Vili gesagt: „Vili, du musst Deutsch lernen.“ Er antwortete: „Ja Papa, ich mach das.“ Und dann hat er das zwei, drei Stunden pro Tag gemacht. Zwei, drei Monate später, im Januar 2018 hat Vili angefangen zu arbeiten.
Vili hat später einen neuen Platz in der Firma bekommen, er wollte heiraten und mit seiner Freundin in eine neue Wohnung ziehen. Er hat immer gesagt: „Papa, ich mach für dich und für Mama nicht ein Kind, sondern mehrere. Weil ich immer alleine war.“ Iulia hat gesagt: „Ja, wir wollen das.“
Beim Attentat vom 19. Februar zum Beispiel hatte Vili mit den anderen nichts zu tun. Iulia und ich, wir wollten dass unser Sohn nach Hause kommt. Iulia hat gerade ein Schnitzel für Vili zubereitet. Aber es war Vilis Entscheidung zu kämpfen und den Täter zu stoppen. Ich muss das respektieren, weil es seine Entscheidung ist. Aber Iulia und ich hätten gewollt, dass er nach Hause kommt. Aber ich muss das respektieren… Ja. Ich muss das respektieren.
Iulia hat gestern für drei Personen Essen gemacht, weil sie es vergessen hat. Hat seine Klamotten sauber gemacht und wieder: vergessen…
Iulia und ich sind beide Waisen. Iulia hat mit neun Jahren ihre Mutter verloren und ich mit 18 Jahren. Unsere Situation war nicht so rosig. Es ist oft was passiert. Jetzt ist unser Sohn gestorben. Ein so netter Junge. Unglaublich… Unglaublich. Mit dieser Geschichte muss ich das ganze Leben lang leben. Nicht für einen Tag, wie zum Beispiel bei Corona, wo du weißt: ab dem 15. kannst du das und das wieder machen. Es ist für immer.
(mehr …)Veranstaltungen zur Verfolgung und Widerstand Hessischer Sinti und Roma (Breuberg i.Odw.)
Im Sommer war der Landesverband in Breuberg im Odenwald zu zwei Veranstaltungen eingeladen. Zunächst hielt der Marburger Historiker Dr. Udo Engbring-Romang am 3. Juli einen Vortrag zu dem Titel “Antiziganismus und die Verfolgung von Sinti und Roma in Hessen”. Hierbei gab er einen Einblick in die nationalsozialistische Verfolgung von Sinti und Roma in Hessen und ihre Kontinuitäten.
In einer zweiten Veranstaltung am 21. August zeigte der Landesverband seinen Film “Kampf um Anerkennung” über die Bürgerrechtsarbeit hessischer Sinti und Roma. Rinaldo Strauß, stv. Geschäftsführer und Malte Clausen, Mitarbeiter des Hessischen Landesverbandes Deutscher Sinti und Roma leiteten im Anschluss eine Diskussionsrunde und waren für Rückfragen ansprechbar.
Vortrag im Odenwald
Am Freitag 3. Juli veranstaltete der Landesverband in Kooperation mit den Jugendwerkstätten Odenwald e.V. in Breuberg (Odenwaldkreis) einen Vortrag des Marburger Historikers Dr. Udo Engbring-Romang zur Verfolgung der Sinti und Roma in Hessen.
Für den Landesverband nahm der wissenschaftliche Mitarbeiter Malte Clausen teil. Der Vortrag ist Teil einer zweiteiligen Reihe, die am 21. August am gleichen Ort fortgesetzt wird. Dann zeigt der Landesverband seinen Film “Kampf um Anerkennung” zu vier Jahrzehnten Bürgerrechtsarbeit in Hessen. Hier finden Sie die Einladung zu dieser Veranstaltung.
Information über Hilfen in der Corona-Krise
Die nachfolgende Übersicht orientiert sich an den aktuellen gesetzlichen Regelungen vom 31.03.2020 in Hessen und erhebt keinen Anspruch auf Vollständigkeit und Fehlerfreiheit.
Für Selbständige und Unternehmer:
Selbstständige und Unternehmer, die Verdienstausfälle durch die Corona-Krise haben und dadurch in eine Notlage geraten sind, können einen Zuschuss vom Staat erhalten:
Die Zuschüsse gibt es in der Höhe bis zu 10.000 Euro für Selbstständige, Freiberufler, Kleinunternehmer und Unternehmer mit bis zu 5 Mitarbeitern. Für Unternehmen zwischen 5 und 10 Beschäftigte sind bis zu 20.000 Euro und bei 10 bis 50 Beschäftigten sogar bis zu 30.000 Euro möglich.
Die Anträge für die Zuschüsse für Gewerbetreibende in Hessen können nur hier beim Regierungspräsidium Kassel gestellt werden.
Dazu können Sie sich unter der Telefonnummer 0561 1060 beraten lassen.
Bei dem Antrag könnten Sie sich durch eine sachkundige Person in Ihrem Umfeld vor Ort beraten lassen, die Erfahrungen mit Finanzen und dem Internet hat.
Ergänzung: Kulturschaffende und Künstler finden hier eine aktuelle Übersicht über Unterstützungsmöglichkeiten.
Darüber hinaus kann das Bundesland Hessen Freiberufler und Unternehmen mit Krediten zu relativ günstigen Konditionen unterstützen. Dazu gibt es eine Beratung bei der WI Bank:
Postadresse: Wirtschafts- und Infrastrukturbank Hessen, 60297 Frankfurt am Main
Tel. 0611 774‑7333 (8 bis 18 Uhr)
Internet: https://www.wibank.de/wibank/corona
Email: foerderberatunghessen@wibank.de
Für Unternehmen gibt es darüber hinaus vereinfachte Möglichkeiten zur Beantragung von Kurzarbeit für ihre Beschäftigten.
Bei Sozialleistungen:
Diejenigen, die bereits vor der Corona-Krise Leistungen vom Jobcenter, Sozialhilfe oder Grundsicherung im Alter erhalten haben, für die gibt es im Moment keine größeren Änderungen.
Es gibt aber einen erleichterten Zugang für die Leistungen vom Jobcenter, Sozialhilfe oder Grundsicherung im Alter:
Wer ab dem 1. März bis einschließlich zum 30. Juni 2020 einen Neuantrag auf Sozialleistungen stellt, für den entfällt für die ersten 6 Monate die Vermögensprüfung, wenn erklärt wird, dass kein erhebliches Vermögen verfügbar ist.
Und in den ersten 6 Monaten des Leistungsbezugs werden die Ausgaben für Miete und Heizung in tatsächlicher Höhe anerkannt.
Familien, die keine Sozialleistungen erhalten und ein geringes Einkommen haben, können erleichtert einen Kinderzuschlag bei der Familienkasse der Bundesagentur für Arbeit (Tel. 0800 4 555530) beantragen. Bei Neuanträgen ist aktuell nur noch das Einkommen des letzten Monats (anstelle des letzten halben Jahres) entscheidend.
Für Mieter:
Wegen Mietschulden aus dem Zeitraum vom 1. April bis 30. Juni 2020 dürfen Vermieter das Mietverhältnis nicht kündigen, sofern die Mietschulden auf den Auswirkungen der Corona-Krise beruhen. Allerdings müssen die Mieten zu einem späteren Zeitpunkt nachgezahlt werden inklusive Verzugszinsen.
Bei hohen Sonderausgaben:
Wer Sonderausgaben wie z. B. zur Tilgung von Krediten oder Versicherungsbeiträge bezahlen muss, kann derzeit unter Umständen einen mindestens dreimonatigen Zahlungsaufschub erhalten. Dies gilt für Versicherungen, die vor dem 8. März abgeschlossen wurden sowie für Darlehensverträge, die vor dem 15. März vereinbart wurden. Wichtig: Die Zahlungsverpflichtungen bleiben natürlich – wer jetzt nicht bezahlen kann, wird das später nachholen müssen.
Europa muss jetzt hinsehen und helfen – Große Gefahr für Roma
PRESSEMITTEILUNG VOM 31.03.2020
Roma und Sinti stellen mit über 10 Millionen Menschen die größte ethnische Minderheit Europas dar. Die Angehörigen der Minderheit sind derzeit massiv bedroht.
In Bulgarien wurden in den vergangenen Tagen mehrere Stadtviertel, in denen Menschen mit Roma-Hintergrund leben, von staatlicher Seite abgeriegelt. Dabei wird auch mit dem Gerücht operiert, Angehörige der Roma hätten das Corona-Virus nach Bulgarien eingeschleppt. Die betroffenen Menschen werden grundrechtswidrig von jeder medizinischen Versorgung ausgeschlossen, die Versorgung mit Lebensmitteln und allen anderen Gütern des täglichen Bedarfs abgeschnitten. Damit wird eine katastrophale humanitäre Notlage vom bulgarischen Staat unter Verwendung rassistischer Begründungen herbeigeführt.
In vielen weiteren osteuropäischen Ländern, vorallem in Ungarn, in der Slowakei und in Rumänien sowie auf dem Balkan ist die Lage für Menschen mit Roma-Hintergrund bereits jetzt äußerst prekär. In Serbien leben mindestens 70 Prozent der Roma in sogenannten Roma-Siedlungen und sind dort mit schrecklicher Armut konfrontiert, häufig ohne Kanalisation und Wasseranschluss. Einen geringen Lebensunterhalt finden die dort lebenden Menschen im informellen Sektor, in der Saisonarbeit und dem Sammeln von Wertstoffen. Da es keine soziale Absicherung gibt, sind die Menschen nun völlig mittellos. Gleichzeitig sehen sich die zuständigen Institutionen nicht in der Verantwortung, die Menschen zu unterstützen. Letzte Woche haben Angehörige der Roma auch in mehreren albanischen Städten protestiert, da sie nichts mehr zu essen haben.
In Nordmazedonien sind neun Roma-Musiker aus einer Gruppe von 200 Menschen an der Grenze angehalten und unter Quarantäne gestellt worden. Sie sind die ersten Personen, die bei ihrer Rückkehr ins Land in Quarantäne mussten, und die einzigen, die festgehalten wurden, obwohl sie keine Symptome des Covid-19-Virus zeigten.
„An diesen Vorgängen zeigt sich, wie erschreckend aktuell der jahrhundertealte Antiziganismus noch immer ist“, sagt Adam Strauß, Vorsitzender des Landesverbandes. „Auch hierzulande wurde und wird der Hass auf Sinti, Roma und andere Minderheiten geschürt, wenn etwa von Wirtschaftsflüchtlingen und Armutszuwanderung die Rede ist.“
„Heute deutet sich eine europaweite Katastrophe an, die Hunderttausende Leben fordern könnte. Wir fordern die europäischen Regierungen auf, wirksame Maßnahmen gegen den Rassismus, die Ausgrenzung und die weitere Verelendung von Angehörigen der Roma und Sinti zu ergreifen. Europa muss jetzt hinsehen und helfen!“ so Adam Strauß abschließend.
Für Rückfragen erreichen Sie unser Büro unter 06151 – 377740 oder per Email an verband@sinti-roma-hessen.de.
Film zur Alltagsdiskriminierung
Der Landesverband hat einen Film zur Alltagsdiskriminierung erstellen lassen. Für den Film wurden Angehörige der Minderheit im Alter zwischen 12 und 50 Jahren in Hessen zu ihren Erfahrungen mit Ausgrenzung und Antiziganismus interviewt. Der Landesverband wird den Film für seine Bildungs- und Aufklärungsarbeit u. a. an Schulen in der Zukunft nutzen. Hier kann der Film betrachtet werden:
Jahrestag der Deportation Marburger Sinti
OB Spies bringt Gedenkkranz am ehemaligen Landratsamt an
GEMEINSAME PRESSEMITTEILUNG DER UNIVERSITÄTSSTADT MARBURG UND DES VERBANDES DEUTSCHER SINTI UND ROMA LANDESVERBAND HESSEN
23. März 2020
Marburg. Zum 77. Mal jährte sich am Montag, 23. März, die Deportation von Sinti aus Marburg im Nationalsozialismus. Im stillen Gedenken hat Oberbürgermeister Dr. Thomas Spies einen Kranz am ehemaligen Landratsamt, heute Bauamt, in der Barfüßerstraße angebracht. Aufgrund des Coronavirus fand der Akt in diesem Jahr nicht öffentlich statt.
Oberbürgermeister Dr. Thomas Spies erinnerte daran, dass am 23. März 1943 vor dem ehemaligen Landratsamt 78 Sinti aus Marburg und Umgebung gesammelt wurden, bevor sie vom Marburger Hauptbahnhof in das Vernichtungslager Auschwitz deportiert wurden. Die meisten überlebten nicht. Insgesamt wurden rund 500.000 Sinti und Roma von den Nazis ermordet. Eine Gedenktafel am heutigen Bauamt erinnert an die Opfer. Mit der Kranzanbringung will die Stadt Bürger*innen die Möglichkeit zum Gedenken geben, auch wenn in diesem Jahr wegen der Corona-Krise keine öffentliche Veranstaltung stattfindet.
„Wir dürfen die grausamen Verbrechen des Nationalsozialismus nicht vergessen und müssen uns immer dafür einsetzen, dass nie wieder Menschen gewaltsam aus unserer Gesellschaft herausgerissen werden“, betonte das Stadtoberhaupt. „Diese Taten liegen 77 Jahre zurück, doch rassistische Anschläge wie in Hanau mahnen uns, auch in heutiger Zeit wachsam zu sein und uns entschieden gegen jede Form von Ausgrenzung, Diskriminierung und Gewalt zu stellen.“
„In der heutigen Zeit, in der rechte Hetze und rechte Gewalt wieder zunehmen, ist es die gemeinsame Verpflichtung aller Demokrat*innen, sich jeglichem Rassismus in den Weg zu stellen”, erklärte auch Adam Strauß, Vorsitzender des Landesverbandes Deutscher Sinti und Roma Hessen.
Insbesondere Sinti und Roma hätten seit Jahrhunderten mit Stigmatisierung und Diskriminierung zu kämpfen, dabei bereichere ihre Kultur Deutschland und Europa ungemein, stellte OB Spies klar. Dem hessischen Landesverband der Sinti und Roma sei er sehr dankbar, dass er Kommunen unterstütze, die Verfolgung aufzuarbeiten und auch in Schulklassen gehe, um auch die Jüngeren für das Thema zu sensibilisieren. Sinti und Roma seien fester Bestandteil der Gesellschaft „und ohne sie sind wir nicht komplett“, so Spies.
Absage der Gedenkverstaltung in Darmstadt
Die für Sonntag 15. März geplante Gedenkveranstaltung am Denkzeichen Güterbahnhof in Darmstadt muss leider entfallen. Der Landesverband und die Wissenschaftsstadt Darmstadt bitten hierfür um Verständnis.