“Es geht nicht um eine Grillsauce, sondern um Menschen”

Der Hessische Landesverband deutscher Sinti und Roma kritisiert die antiziganistischen Äußerungen im Rahmen der Verleihung des 11. Deutschen Radiopreises

PRESSEMITTEILUNG des Verbands Deutscher Sinti und Roma, Landesverband Hessen

Darm­stadt, den 16.09.2020

Der Hes­sis­che Lan­desver­band deutsch­er Sin­ti und Roma ist empört über die antizigan­is­tis­che Äußerung von Bar­bara Schöneberg­er. Anlässlich der Ver­lei­hung des 11. Deutschen Radio­preis­es hat­te die Mod­er­a­torin gesagt: „Früher durfte man natür­lich auch Zige­uner­sauce sagen. Darf man gar nicht mehr, heißt jet­zt Sauce ohne fes­ten Wohn­sitz.“

Adam Strauß, Vor­sitzen­der des hes­sis­chen Lan­desver­bands deutsch­er Sin­ti und Roma: „Es ist erschreck­end mit welch­er Selb­stver­ständlichkeit hier antizigan­is­tis­che Vorurteile ver­bre­it­et wer­den. Wer im All­t­ag solchen Diskri­m­inierun­gen aus­ge­set­zt ist, kann darüber nicht lachen und es ist ver­let­zend, wenn andere es tun.“

Der soge­nan­nte „Witz“ ist dabei keine Erfind­ung von Frau Schöneberg­er, son­dern greift den in der Bevölkerung immer noch weitver­bre­it­eten Antizigan­is­mus auf. Auch in schlecht­en Restau­rants kann man das „Schnitzel ohne fes­ten Wohn­sitz“ auf der Speisekarte find­en. Das Vorurteil wird hier repro­duziert – wenn Sin­ti und Roma als „Zige­uner“ wahrgenom­men wer­den und damit als Wohn­sit­zlose- oder gar Heimat­lose gel­ten.

Dass so etwas in den Medi­en noch ver­bre­it­et wird, will Adam Strauß, nicht unkom­men­tiert geschehen lassen: „Es kann nicht sein, dass solche Äußerun­gen ein­fach hin­genom­men wer­den. Es sollte Auf­gabe der Medi­en sein, aufzuk­lären und nicht Vorurteile zu schüren.“

Der 73jährige blickt auf viele Erfahrun­gen der Diskri­m­inierung zurück, ger­ade deshalb lassen ihn solche Ereignisse nicht kalt: „Meine Fam­i­lie wurde wie viele andere Sin­ti und Roma von den Nazis ver­fol­gt. Man hat uns unsere Woh­nun­gen genom­men und ver­sucht uns unsere Heimat zu nehmen. Meine Eltern wur­den nach Auschwitz deportiert, haben über­lebt und sind trotz allem, wie etwa 90 Prozent der Über­leben­den, an den Ort, der für sie Heimat bedeutete, zurück­gekom­men. Es tut weh, wenn man auch nach 600 Jahren, die unsere Min­der­heit schon im deutschsprachi­gen Raum lebt, immer noch nicht dazuge­hört.“

Wie weitver­bre­it­et antizigan­is­tis­che Ein­stel­lun­gen in der Bevölkerung sind, hat auch die Leipziger Mitte-Studie, die zulet­zt 2018 erschienen ist, gezeigt. Der Studie zufolge stim­men 60 Prozent der Deutschen der Aus­sage zu, dass Sin­ti und Roma zu Krim­i­nal­ität neigten und 56 Prozent geben an, dass sie ein Prob­lem damit hät­ten, wenn sich Sin­ti und Roma in ihrer Gegend aufhiel­ten. Der Antizigan­is­mus stieg den Stu­di­en zufolge in den let­zten Jahren sog­ar noch an.

„Sin­ti und Roma haben in Deutsch­land und Europa – wenn sie als Zige­uner wahrgenom­men wer­den – alltäglich mit Vorurteilen zu kämpfen und sie wer­den nicht bess­er, wenn sie als Witz daherkom­men“, kri­tisiert Strauß. „Auch Satire darf eben nicht alles. Gute Satire kri­tisiert die gesellschaftlichen Zustände mit Humor, aber nicht auf Kosten der­jeni­gen, die gesellschaftlich diskri­m­iniert und an den Rand gedrängt wer­den. Damit verkehrt sich Satire in ihr Gegen­teil. Es geht hier doch nicht um eine Grill­sauce, son­dern um Men­schen, die von solchen Vorurteilen tief getrof­fen wer­den.“

Der Hes­sis­che Lan­desver­band deutsch­er Sin­ti und Roma fordert angesichts der Geschehnisse noch ein­mal mehr dazu auf, dass ger­ade auch die Medi­en ihrer demokratis­chen Auf­gabe, für Aufk­lärung und eine größere Sen­si­bil­ität für das The­ma Antizigan­is­mus zu sor­gen, nachkom­men müssen.